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Die Geschichte dieses Katers
hat das Denken und die Philosophie,
die den 'Tiersuchdienst Wesermarsch' ausmachen und in seinem Handeln
erkennbar ist,
ganz wesentlich geprägt.
Ihm zum Andenken haben wir dies hier niedergeschrieben.
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Der Kater |
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Im Juli 2005 rief mich eine Frau aus
Nordenham-Abbehausen an, um mir einen Kater zu melden, der dort seit
einiger Zeit herumstrolchte. Er wusste offenbar nicht, so die Frau, wo er
hingehört und sie wüsste es auch nicht. Sehr abgemagert sei das Tier,
erzählte sie mir. Ich ließ mir die Adresse geben.
Zuerst fuhr ich ins Tierheim nach Blexen, um mir das
Chiplesegerät zu leihen, denn so etwas hatte ich damals nicht. Den
Tiersuchdienst Wesermarsch e.V. gab es damals nicht in der Form, wie er
heute existiert. Wir waren zwei Frauen, oft belächelt für das, was wir
taten. Wer verfährt sein Benzin schon für andere? Und warum überhaupt?
Sind doch nur Katzen….
Was mussten wir uns damals nicht alles anhören!
Die Anschaffung eines eigenen Chiplesegeräts war natürlich für mich viel
zu teuer, aber ein geliehenes Gerät erfüllte ja auch seinen Zweck.
Mit dem damaligen Leiter verabredete ich, den Kater
aus Abbehausen ins Moyzes Tierheim zu bringen, falls ich seinen Besitzer
nicht ermitteln könnte.
So war das damals: Zuerst musste jedes Fundtier ins Tierheim, von dort aus
wurde es zum Tierarzt gebracht oder dieser untersuchte die Tiere dort.
Heute ist es anders: Die Fundtiere kommen zuerst in die Tierarztpraxis,
was ja auch eine logische Vorgehensweise ist, damit keine (immer
möglichen) Krankheiten eingeschleppt werden.
Ich fuhr also los, um mir den Kater anzusehen. Ich kam in eine
Wohnsiedlung mit gepflegten Einfamilienhäusern, allesamt mit sehr
aufgeräumten Vorgärten. Mir kam der Gedanke, ob wohl Katzen in dieser
Umgebung gern gesehen seien…
Die Antwort bekam ich schon bald.
Während ich noch meine Utensilien aus dem Auto holte, kam eine Frau kam
auf mich zu und stellte sich als die Anruferin vor. Der Kater, so sagte
sie, wurde dort bereits seit vierzehn Tagen gesehen und dann hätte sie
sich des Tiers angenommen und sich bei mir gemeldet. Viele Anwohner hätten
den Kater schon verjagt, aber sie brächte das nicht übers Herz.
„Vielleicht sucht er ja sein Zuhause“, sagte sie. „Vielleicht hat er sich
verlaufen und weiß nicht, wohin.“ |
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Eine
weitere Frau kam dazu, vielleicht eine Nachbarin, ich habe nicht gefragt.
Ich solle das Tier da wegholen, sagte sie, das sei ja krank und sie hätte
es darum auch nicht angefasst und nicht gefüttert, denn sie will sich ja
nicht anstecken und überhaupt…
Ein wahrer Redeschwall ergoss sich über mich und ich wandte mich wieder
der Anruferin zu, bat sie darum, mir den Kater zu zeigen. Wir gingen
gerade zu ihrem Haus, als er über die Straße kam - und ich erschrak.
Der sicher mal stattliche Kater war ein Häuflein Elend, abgemagert und
knochig schwankte er beim Gehen mit jedem Schritt hin und her. Ich ging zu
ihm, kniete mich hin und streichelte sein struppiges Fell, das an einigen
Stellen ganz dünn war. Sicher saß er voller Flöhe und anderer Parasiten,
die an seinem ohnehin ausgemergeltem Körper zehrten.
Er tat mir unbeschreiblich leid. Er war sehr lieb und zutraulich und
genoss die Streicheleinheiten, die ich ihm zukommen ließ. Sicher hatte er
so etwas lange nicht genießen dürfen.Ich sah ihn mir
genau an, an seiner Nasenspitze hatte er eine verkrustete Stelle, aber
ansonsten konnte ich keine äußerlichen Verletzungen sehen.
Der getigerte Kater war schon alt, vermutete ich, er hatte nur noch einen
einzigen Eckzahn. Auffällig war seine kleine weiße Blesse über der Nase
und die weiße Schwanzspitze - ein gutes Erkennungsmerkmal für die
Besitzer.
Als ich den Kater mit dem Lesegerät nach einem Chip absuchte, schmiegte er
sich an mich und schnurrte. Immer wieder rieb er seinen Kopf an meiner
Hand als wolle er fragen: Bringst du mich nach Hause? |
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Ein Chip war nicht zu finden. Damals war es auch noch ziemlich unbekannt,
dass man sein Tier mittels eines Transponders kennzeichnen kann.
Aber ich entdeckte eine Tätowierung in einem Ohr!
Für mich hieß das: Der Kater hat einen Besitzer! Ich freute mich riesig,
denn ich war mir sicher, dass er nun wieder nach Hause konnte.
Irgendjemandem bedeutete der Kater etwas. Dieser Jemand hat ihn kastrieren
und tätowieren lassen und dieser Jemand würde ihm nun endlich wieder Liebe
und gesundes, ausreichendes Futter und Pflege angedeihen lassen.
Die Anruferin half mir, den Kater festzuhalten, damit ich die Tätowierung
auslesen konnte. Er versuchte, sich aus dem Griff zu befreien, aber das
hier musste jetzt sein. Angenehm war es für den Kater nicht, denn die
Nummer war sehr schlecht lesbar - was es dann leider auch unmöglich
machte, sie zu entziffern...
Heute, einige Jahre später, kenne ich den einen oder anderen Trick, um
eine verblasste Nummer wieder besser sichtbar machen zu können, damals
aber fehlte mir einfach die Erfahrung.
Anschließend machte ich noch Fotos des Tieres und setzte ihn dann, längst
nicht mehr so zuversichtlich, in meine mitgebrachte Transportkiste. Wir
machten uns auf den Weg ins Tierheim.
Unterwegs unterhielt ich mich mit ihm, versuchte ihn zu beruhigen, denn
mit kläglichem Maunzen machte er auf sich aufmerksam.
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Im Tierheim angekommen, nahm man mir den Kater ab und setzte ihn in eine
Quarantänebox. Diese war nicht sehr groß, vielleicht 60x60 cm.
Ausgestattet war die Box mit einem Katzenklo und einem Schlafkorb. Viel
Platz war also nicht. |
Ich streichelte den Kater noch, bevor ich den Raum verließ und trank einen
Tee mit dem Leiter des Tierheims. Dann gab ich ihm die notwendigen Daten
und ging noch einmal zu dem Kater. Was ich da sah, gefiel mir nicht. Das
Tier lag in dem Korb und atmete schwer. Auf Ansprache reagierte er nur
zögerlich. Ich informierte den Tierheimleiter, der mit mir zusammen zu dem
Kater ging. „Der Tierarzt kommt ja nachher“, sagte er und verließ den
Raum.
Ich blieb da. Ich öffnete die Tür der Box und streichelte den Kater. Er
lag auf der Seite und sah mich an. Ich sprach mit ihm. „Alles wird gut!“
sagte ich. Mir fiel auf, dass seine Atmung schlechter wurde. Noch einmal
rief ich den Tierheimleiter. „Wir müssen warten“, sagte dieser. Ich war so
dumm damals….
Der Kater starb kurze Zeit später. Meine Hand lag unter seinem Kopf, als
er aufhörte zu atmen. Ein letztes Mal streichelte ich seinen mageren,
geschundenen Körper.
Ich war geschockt.
Geschockt darüber, dass er tot war und über die Reaktion des damaligen
Tierheimleiters. Ich war wütend auf mich selbst, dass ich es zugelassen
hatte, den Kater einzusperren.
Ihn, der vergeblich sein Zuhause gesucht hat und verjagt worden war.
Den keiner haben wollte, weil er krank aussah und abgemagert war. Wäre
doch bloß einer der vielen Menschen, denen er auf seinem Weg begegnet ist,
mit ihm zum Tierarzt gegangen…
Aber ich war ja nicht anders. Ich hatte mich nicht über die üblichen
Regeln hinwegsetzen wollen – der guten Zusammenarbeit wegen… |
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Er war vielleicht auf dem Weg nach Hause. Wer weiß,
wie lange schon. Vielleicht brauchte er nur eine Pause, wollte sich
erholen, stattdessen kam ich, unterbrach seinen Weg - und er gab auf.
Er spürte möglicherweise, dass sein Weg, seine Suche nun zu Ende war und
ihn verließ das letzte bisschen Kraft.
Im Tierheim, hinter Gittern…
Diese Begegnung hat mich nachdenklicher gemacht, hat
tiefe Spuren hinterlassen.
Nur, wenn es gar nicht anders geht, bringe ich ein Tier ins Tierheim.
Ich mag die Wege der Tiere nicht mehr unterbrechen. Ich bin ihnen viel
lieber dabei behilflich, den Weg nach Hause zu finden. |
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Nachzulesen und veröffentlicht
in dem Buch "Manche schlafen ein mit der Katze" - Ein Lesebuch für die
Wesermarsch, Ach-, Lach- und Sachgeschichten von und mit Tieren
erschienen im Geest-Verlag 2013 (ISBN 978-3-86685-444-4) |
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